Teilnehmer Podiumsdiskussion in Berlin zu Rechnungslegungsstandards

Hessisches Ministerium der Finanzen

Deutschland droht bei der Rechnungslegung den Anschluss zu verpassen

Hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion in Berlin zu einheitlichen doppischen Rechnungslegungs­standards in der EU.

Rund 100 Teilnehmer verfolgten in der Hessischen Landesvertretung in Berlin die intensive und teilweise auch kontrovers geführte Podiumsdiskussion zum Thema „EPSAS – Mehrwert für die parlamentarische Kontrolle?“. Das Podium war hochkarätig besetzt mit dem Präsidenten des Europäischen Rechnungshofs, Klaus-Heiner Lehne, der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dr. Inge Gräßle, dem Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums, Werner Gatzer, dem Staatssekretär des Hessischen Finanzministeriums, Dr. Martin Worms, dem Leiter der Grundsatzabteilung des Hessischen Rechnungshofs, Direktor Dr. Karsten Nowak, dem Kämmerer der Stadt Nürnberg, Harald Riedel sowie dem Stellvertretenden Direktor der europäischen Statistikbehörde Eurostat, John Verrinder.

Die Abkürzung EPSAS steht für European Public Sector Accounting Standards. Dahinter steht die Idee, einheitliche doppische Rechnungslegungs­standards für alle Mitgliedsstaaten der EU zu entwickeln, um die Vergleichbarkeit zu erhöhen. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs Dr. Walter Wallmann erläuterte: „Damit sollen Transparenz geschaffen sowie die Steuerung der öffentlichen Aufgaben in der EU erleichtert werden. Dies ist die Grundlage für wirtschaftliches Verwaltungshandeln. Im Ergebnis können Steuergelder gespart und damit ein echter Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger sowie die Politik erreicht werden. Dies dient uns allen heute sowie den künftigen Generationen und ist Ausdruck einer nachhaltigen Finanzpolitik.“

Bei der bisher in Deutschland auf Bundesebene und bei den meisten Ländern vorherrschenden kameralen Rechnungslegung besteht die Gefahr einer sogenannten Fiskalillusion, das heißt der finanzielle Spielraum der Politik erscheint größer als er tatsächlich ist. Dies liegt daran, dass insbesondere Abschreibungen auf das Staatsvermögen nicht systematisch erfasst und abgebildet werden. Der Staat erscheint also vermögender als er tatsächlich ist – das gilt etwa für Gebäude und Autobahnen. Nach Ansicht des Hessischen Rechnungshofs sollte die Entwicklung von EPSAS als eine Chance verstanden werden, für den öffentlichen Bereich maßgeschneiderte Rechnungslegungsstandards zu entwickeln. Dr. Nowak sah die Einführung der EPSAS als doppelte Chance: „Erstens würde die heterogene öffentliche Rechnungslegung in der EU harmonisiert und zweitens könnte in den Mitgliedstaaten eine für öffentliche Zwecke maßgeschneiderte Rechnungslegung entwickelt werden. Die Zwecke öffentlicher Rechnungslegung sind Rechenschaft, Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Vergleichbarkeit.“

Nur noch in Deutschland und den Niederlanden ist das kamerale Rechnungswesen vorherrschend. Alle anderen Mitgliedsstaaten der EU buchen bereits doppisch, stellen ihr Rechnungswesen gerade um oder die Umstellung ist geplant. Wallmann mahnte: „Wir laufen Gefahr, hier den Anschluss zu verpassen.“ Mit Blick auf die heterogene Landschaft der öffentlichen Rechnungslegung sowohl in Deutschland als auch in Europa bekräftigte Hessens Finanzstaatssekretär Dr. Martin Worms: „Ein aussagekräftiger Ausweis des Vermögens und der Schulden eines Landes setzt ein doppisches Rechnungswesen voraus. Diese Transparenz sind wir dem Bürger in Europa schuldig.“

Der Präsident des Europäischen Rechnungshofs, Klaus-Heiner Lehne, fasste die aktuelle Problematik in einem Satz zusammen: „Wer sich jetzt nicht aktiv in den Prozess der Ausarbeitung harmonisierter European Public Sector Accounting Standards (EPSAS) einbringt, riskiert Einfluss und die Chance zu verlieren, diese in die richtige Richtung zu steuern.“

Deutschland sollte sich intensiver an der Entwicklung der EPSAS beteiligen, um mitgestalten zu können. Andernfalls sieht Dr. Nowak die Gefahr, dass das für die Aussagekraft der öffentlichen Rechnungslegung immanente Vorsichtsprinzip verloren geht und durch das angelsächsische Neutralitäts- und Fair-Value-Prinzip verdrängt wird: „Dem Vorsichtsprinzip mit seinen Ausprägungen Realisations- und Imparitätsprinzip kommt bei der Zweckerreichung eine besondere Rolle zu. Die bereits existierenden IPSAS eignen sich u.a. aufgrund des fehlenden Vorsichtsprinzips nur bedingt zur Zweckerreichung. Sie sollten von den IFRS abgekoppelt werden, um der öffentlichen Rechnungslegung besser gerecht werden zu können.“

Auch Dr. Wallmann forderte: „Das Beispiel der Datenschutz-Grundverordnung hat gezeigt, dass sich Deutschland nicht von europäischen Entwicklungen abkoppeln kann. Europäische Entwicklungen haben Auswirkungen auf jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger. Nur wenn wir uns aktiv am Entwicklungsprozess beteiligen, haben wir eine Chance bewährte deutsche Prinzipien wie das Vorsichtsprinzip langfristig zu bewahren. Wer sich selbst auf die Ersatzbank setzt, kann keine Tore schießen!“ Dr. Worms ergänzte: „Den Entwicklungsprozess von EPSAS eng und aktiv mitzugestalten sowie fundiert auf praxisrelevante Schwachstellen und Entwicklungsbedarfe der bestehenden IPSAS im Rahmen der Festlegung von EPSAS aufmerksam zu machen, ist auch mit Blick auf die Vorreiterrolle Hessens bei der Einführung der Doppik erklärtes Ziel der Hessischen Landesregierung.“

Durch eine Harmonisierung des Rechnungslegungs-Systems in ganz Europa können Staaten auf einer verlässlichen, einheitlichen Datengrundlage miteinander verglichen werden. Dr. Wallmann betonte: „Hätten solche fundierten Daten vor der letzten Staatsschuldenkrise zur Verfügung gestanden, wären einige Entscheidungen vermutlich anders ausgefallen. Wie wollen wir Europa stärken, wenn wir es nicht einmal schaffen, uns auf ein einheitliches europäisches öffentliches Rechnungslegungssystem zu einigen!“

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