Die Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder haben in ihrer Jahreskonferenz am 6. Mai 2022 in Nürnberg unter Vorsitz von Finanzministerin Doris Ahnen (Rheinland-Pfalz) u. a. die Lage der öffentlichen Finanzen beraten und sich dazu auf Folgendes geeinigt
1. Nach dem deutlichen Abschwung im Jahr 2020 kehrte die deutsche Wirtschaft im Jahr 2021 wieder auf einen Wachstumspfad zurück. Die Wirtschaftsentwicklung war jedoch im Jahresverlauf vergleichsweise heterogen, sodass der starke Rückgang der Wirtschaftsleistung des Jahres 2020 noch nicht ausgeglichen werden konnte. Zu Beginn des Jahres 2022 deutete sich eine Erholung sowohl der deutschen Wirtschaft als auch der Weltwirtschaft an.
2. Mit dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine und dessen politischen, wirtschaftlichen und humanitären Folgen haben sich die weiteren Aussichten auf eine wirtschaftliche Erholung jedoch deutlich verschlechtert. Die mittel- und langfristigen Auswirkungen des Krieges auf die nationale und internationale Wirtschaftslage sind derzeit kaum absehbar. Sicher ist, dass wachsende Sicherheitsrisiken, steigende Energie- und Rohstoffpreise, unterbrochene Lieferketten und Wirtschaftssanktionen Privathaushalte sowie Unternehmen gleichermaßen treffen und tiefgreifende Folgen auch weit über die reinen Handelsverflechtungen hinaus mit sich bringen.
3. Die direkten und indirekten Kriegsfolgen dürften die weitere Entwicklung der Verbraucherpreise stark beeinflussen. So hatte sich im vergangenen Jahr die Inflationsrate in Deutschland insbesondere infolge der kräftigen Dynamik der Preise für Energie und Industrie- und Vorleistungsgüter bereits auf jahresdurchschnittlich 3,1 Prozent erhöht. Vor dem Hintergrund der aktuellen Verwerfungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten in Folge der Auswirkungen des Krieges – so ist der Verbraucherpreisindex im April im Vorjahresvergleich um 7,4 Prozent (vorläufig) gestiegen – dürfte die jahresdurchschnittliche Inflationsrate die Zielmarke der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent nicht nur in diesem, sondern auch im kommenden Jahr deutlich überschreiten. Dies führt zu Kaufkraftverlusten für Haushalte und einem Kostenanstieg für Unternehmen.
4. In Anbetracht der zahlreichen Unwägbarkeiten der Auswirkungen des Krieges auf die Wirtschaftsentwicklung ist die aktuelle Frühjahrsprojektion der Bundesregierung von großer Unsicherheit geprägt. Die Bundesregierung erwartet im Jahr 2022 nur noch ein reales BIP-Wachstum von 2,2 Prozent und im Jahr 2023 einen Anstieg um 2,5 Prozent. Dabei wird jedoch u. a. angenommen, dass die Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland weiterhin sichergestellt ist.
Die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen sind in 2022 immer noch stark von den Auswirkungen der Corona-Pandemie geprägt. Hinzu treten die Folgen des Angriffs Russlands auf die Ukraine sowie die notwendigen Anstrengungen, um die gesamtstaatlichen Klimaziele zu erreichen und die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland zu reduzieren. Die hieraus erwachsenden großen finanz- und haushaltspolitischen Herausforderungen, wie sie sich für die öffentlichen Haushalte 2022, aber auch für die kommenden Jahre ergeben dürften, sind derzeit kaum zu beziffern. Umso wichtiger ist nach einer Krise eine schnelle und konsequente Rückkehr zur haushaltspolitischen Normalität im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse.
5. Die Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder begrüßen die Zusage der Bundesregierung, Länder und Kommunen pauschal bei ihren Mehraufwendungen für die Geflüchteten aus der Ukraine über einen erhöhten Anteil an der Umsatzsteuer zu unterstützen. Sie erkennen überdies an, dass der Bund insbesondere den Ländern, die als „Drehkreuze“ erhebliche Vorleistungen bei der derzeitigen Verteilungslogistik der Geflüchteten aus der Ukraine leisten, eine besondere Kompensation zugesichert hat.
6. Ferner nehmen die Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder zur Kenntnis, dass die Bundesregierung zugesagt hat, entsprechend der Entwicklung der Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine im November dieses Jahres mit den Ländern eine Regelung über eine Fortsetzung und gegebenenfalls notwendige Anpassung der Unterstützung seitens des Bundes zu vereinbaren. Im laufenden Jahr sollte nach Zusicherung des Bundes zugleich eine einvernehmliche Regelung zur Verstetigung der Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten sowie den Aufwendungen der Länder und Kommunen für die Unterkunft und die Integration der geflüchteten Menschen gefunden werden, die rückwirkend ab dem 1. Januar 2022 gelten sollte. Sie bedauern jedoch, dass hierzu bislang noch keine Verständigung erzielt werden konnte. Die Länder und Kommunen sind darauf angewiesen, dass diese Zusagen des Bundes eingehalten werden. Es bedarf auch hier einer dauerhaften, „atmenden“ Regelung, die sich an der Zahl der flüchtenden Menschen orientiert.
7. Mit Blick auf die flüchtlingsbedingten Kostenbelastungen sowie angesichts einer Reihe kostenträchtiger neuer Bundesgesetze in den Aufgabenbereichen von Ländern und Kommunen in den vergangenen Jahren sehen die Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder die in diesem Zusammenhang wiederholt vorgenommene Kompensation durch Umsatzsteuerfestbeträge in mehrerlei Hinsicht kritisch. Festbeträge sind nicht oder nur eingeschränkt dynamisiert ausgestaltet, häufig nur befristet oder an Verausgabungsbedingungen geknüpft. Damit können Umsatzsteuerfestbeträge das Ziel einer dauerhaften Kompensation kostenträchtiger Bundesgesetze, die Länder und Kommunen belasten, nicht erfüllen. Die Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder setzen sich dafür ein, dass es bei neuen Aufgaben und Finanzierungen im Verantwortungsbereich von Ländern und Kommunen zu einer dauerhaften und dynamisch ausgestalteten Kompensation der Belastungen kommt.