"Mal wieder meine Mutter drücken"

Hessens Finanzminister Michael Boddenberg im Interview mit dem Wiesbadener Kurier vom 18. Mai 2020.

Herr Boddenberg, wir erreichen Sie in häuslicher Quarantäne. Verraten Sie uns den Grund dafür?

Wir haben ein Mitglied der Familie, das positiv getestet worden ist. Deshalb bleiben meine Frau und ich seit vergangenen Donnerstag für 14 Tage zu Hause.

Sie selbst sind gesund?

Ja, vorausgesetzt, es bleibt bei den Testergebnissen. Davon gehe ich aber aus. Bisher sind meine Frau und ich negativ getestet worden. Rein physisch fehlt uns nichts.

Können Sie Ihre Amtsgeschäfte per Telefon- und Videoschalten in vollem Umfang wahrnehmen?

Mein Büro hier zu Hause sieht mittlerweile ungefähr so aus wie das im Ministerium. Mit vielen Akten, die mir gebracht werden. Und der Arbeitstag ist genauso durchgetaktet wie immer. Aber manches, was mittlerweile auch wieder in Präsenzsitzungen stattfindet, geht eben zur Zeit nur per Telefon oder Video. Aber ich kann meine Amtsgeschäfte zu 100 Prozent wahrnehmen.

Sie haben bereits einen zweiten Nachtragshaushalt für das laufende Jahr angekündigt. Wie sieht der Fahrplan aus?

Der Landtag wird bei der Einbringung – voraussichtlich in einer Sondersitzung am 16. Juni – erstmals über den Nachtragshaushalt beraten. In der regulären Plenarsitzung vom 23. bis 25. Juni soll es dann die zweite und dritte Lesung, also die Verabschiedung des Nachtrags geben.

Sie sind seit sieben Wochen im Amt. Was war das erfreulichste Erlebnis als neuer Minister?

Das war die menschlich tolle Aufnahme im Finanzministerium. Was mich allerdings nicht überrascht hat. Das Ministerium ist sehr, sehr gut aufgestellt. Das gilt nicht nur für die professionelle Arbeit in allen Fachabteilungen selbst, sondern auch für das Umfeld des Ministers. Das passt menschlich alles gut zusammen. Das ist wichtig, wenn man manchmal bis in den späten Abend und auch an den Wochenenden zusammenarbeitet. Ich konnte mich vom ersten Tag an zu einhundert Prozent auf alle Beteiligten verlassen.

Und was gab es weniger Erfreuliches?

Sie kennen den Grund und die Umstände für meine Amtsübernahme. Vor allem die ersten Tage waren natürlich sehr geprägt vom tragischen Tod meines Vorgängers Thomas Schäfer. Das beeinflusst bis heute die Stimmung im Haus. Ich habe jeden Tag Projekte und Vermerke in den Akten, die noch von Thomas Schäfer angestoßen und gezeichnet wurden. Die Erinnerung an ihn ist deshalb stets gegenwärtig. Das ist belastend, aber wir gucken nach vorne, um die riesigen finanziellen Herausforderungen anzugehen, die vor uns liegen. Die Bewältigung der Corona-Krise wird Jahre, manche sagen Jahrzehnte dauern.

Wagen Sie eine Prognose, wann es in Hessen wieder einen Haushalt mit der Tilgung von Altschulden geben wird?

Eine solche Prognose wäre im Moment höchst fahrlässig. Das gilt für alle Finanzminister, die der Bundesländer und den des Bundes.

Als Minister sind Sie in die Kabinettsdisziplin eingebunden. Vermissen Sie die Beinfreiheit, die Sie als Fraktionsvorsitzender hatten?

Ich habe das Amt des Fraktionsvorsitzenden sehr gerne ausgeübt und hätte das auch gerne weiter gemacht, weil diese Aufgabe ebenso verantwortungs- wie reizvoll ist. Auf der anderen Seite gilt auch für den Vorsitzenden einer Regierungsfraktion ein hohes Maß an Disziplin, damit die Zusammenarbeit mit der Regierung funktioniert. Wir sind alle Teil eines großen Teams, und das gilt für die Regierungsfraktionen genauso wie für das Kabinett. Als Finanzminister habe ich gerade in dieser Phase ein breites Spektrum für Gestaltung, sodass ich nichts vermisse.

Tun Land und Bund genug, um der Wirtschaft, vor allem dem Mittelstand über die Krise hinwegzuhelfen?

Das kann ich heute nicht abschließend beantworten, weil wir über weitere Hilfen noch diskutieren. Beispielsweise im Bund über ein Konjunkturprogramm oder darüber, was den demnächst abgeschlossenen Hilfsprogrammen für die Unternehmen folgen könnte. Viele Branchen weisen zurecht auf ihre äußerst schwierige oder sogar existenzbedrohende Lage hin. Es muss aber klar sein, dass der Staat nicht alle Umsatzausfälle kompensieren kann. Das würde uns bei Weitem überfordern und wäre auch nicht in Ordnung, weil wir den folgenden Generationen nicht allzu große Hypotheken hinterlassen dürfen.

Wie erleben Sie persönlich diese Zeit mit Homeoffice, Telefon- und Videokonferenzen?

Das fällt manchmal schwer, und ich freue mich auf andere Formen der Begegnung. Das gilt nicht nur für das politische Amt, sondern auch für die Familie und den Freundeskreis. Meine Mutter ist Mitte 80, sie würde ich schon gerne mal wieder drücken. Ich sage voraus, dass bei aller Digitalisierung, die Fahrt aufnehmen wird, die persönliche Begegnung nach Ende dieser Krise wieder eine sehr große Rolle spielen wird.

Das Interview führte Christian Stang.

Quelle: Boddenberg, Michael: „Mal wieder meine Mutter drücken”; in: Wiesbadener Kurier, Ausgabe vom 20. Mai 2020, S. 5.

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