Die Schuldenbremse hat sich in der Krise bewährt

Ein Gastbeitrag von Hessens Finanzminister Michael Boddenberg und Prof. Dr. Dr. Lars P. Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Direktor des Walter Eucken Instituts, zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung anlässlich der aktuellen Diskussion über die Zukunft der Schuldenbremse.

Der Gastbeitrag ist erschienen angesichts der Corona-Krise sowie des 10. Jahrestags der Volksabstimmung über die Aufnahme die Schuldenbremse in die hessische Verfassung. Die Hessinnen und Hessen hatten am 27. März 2011 mit großer Mehrheit für die Schuldenbremse gestimmt.

Die Auswirkungen der Corona-Krise stellen die Schuldenbremse vor ihre erste echte Bewährungsprobe. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Verfassungsregeln in diesen Krisenzeiten gut funktionieren. Jedenfalls steht die Schuldenbremse einer umfangreichen expansiven Fiskalpolitik zur Bewältigung der Pandemie nicht im Weg.

Sie erlaubt es dem Staat, in der aktuellen Krise massiv Geld für pandemiebedingte Mehrbedarfe und zum Ausgleich wegbrechender Steuereinnahmen einzusetzen. Allein der Bund rechnet mittlerweile für die Jahre 2019 bis 2021 mit einer Rekordneuverschuldung in Höhe von rd. 450 Mrd. Euro. Zu diesen Beträgen kommen die Kredite hinzu, die die Länder zur Bewältigung der Pandemie aufnehmen.

Corona-Krise: Deutschlands Schuldenquote steigt

Die Schuldenquote Deutschlands wird dadurch voraussichtlich von knapp 60% Ende 2019 auf über 70% im Jahr 2022 anwachsen. Dieser Anstieg fällt zwar etwas geringer aus als im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise. Allerdings hinkt der Vergleich, da damals vor allem die Übernahme von Verbindlichkeiten im Rahmen der Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung den Schuldenstand nach oben getrieben hat.

Bemerkenswert sind allerdings die finanzpolitischen Schlüsse, die in Teilen der Politik und der Wissenschaft aus dem neuerlichen massiven Schuldenanstieg gezogen werden. Bestand im Jahr 2009 im Rahmen der Föderalismusreform II noch parteiübergreifend Einigkeit, dass der überbordenden staatlichen Verschuldung ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden muss, sind trotz der Rekordverschuldung nunmehr deutliche Absetzbewegungen von diesem Konsens zu beobachten.

Es ist eine klare Vorgabe der Schuldenbremse, dass die Finanzpolitik eine Antwort darauf geben muss, wie sie die aufgenommenen Kredite in Zukunft zurückzahlen will. Die Forderungen nach einer dauerhaften Aufweichung der Schuldenbremse schaden hingegen der Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik, die insbesondere die Generationengerechtigkeit im Blick haben muss.

Zu hinterfragen ist, ob es tragfähige inhaltliche Argumente gibt, die eine Abkehr vom grundsätzlichen Neuverschuldungsverbot rechtfertigen können. Von den Befürwortern wird als zentrales Argument immer wieder darauf verwiesen, dass die öffentliche Verschuldung auf Grund der extrem niedrigen Zinsen derzeit praktisch zum Nulltarif zu haben ist.

Der Staat sollte aus Vorsichtsgründen nicht auf anhaltend niedrige Zinsen vertrauen

Dagegen spricht, dass der Staat schon aus Vorsichtsgründen nicht auf anhaltend niedrige Zinsen vertrauen darf. Zudem schränkt eine dauerhaft hohe Staatsverschuldung die Möglichkeiten der Europäischen Zentralbank für eine schrittweise Normalisierung ihrer extrem expansiv ausgerichteten Geldpolitik immer stärker ein. Die Zeche zahlen die Sparerinnen und Sparer. Zugleich wächst die Gefahr, dass in der nächsten Krise weder Geld- noch Finanzpolitik über ausreichendes Potenzial verfügen würden, um wirksam gegensteuern zu können.

Das Rütteln an der Schuldenbremse überrascht aber schon deshalb, weil sie in der Praxis sehr viel besser funktioniert als bisweilen behauptet. Dafür ist die hessische Schuldenbremse ein gutes Beispiel. In Hessen haben die Bürgerinnen und Bürger vor genau 10 Jahren in einer Volksabstimmung klar für die Aufnahme der Schuldenbremse in die hessische Verfassung votiert.

Die hessische Regelung sieht analog zur Regelung des Grundgesetzes vor, dass sich das Land grundsätzlich nicht verschulden darf. Ausnahmen vom Neuverschuldungsverbot gelten lediglich zum Ausgleich von konjunkturellen Schwankungen sowie bei außergewöhnlichen Notsituationen.

Dadurch konnte Hessen in der aktuellen Corona-Pandemie mit einem Bündel an Hilfen insbesondere zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und staatlichen Strukturen, zur Unterstützung unserer Kommunen und zum Schutz der Gesundheit reagieren. Dabei ist jedoch sicherzustellen, dass die aufgenommenen Kredite in konkreten Schritten wieder getilgt werden.

Schuldenbremse hat nicht zu einem Kahlschlag bei öffentlichen Ausgaben geführt

Anders als von ihren Kritikern behauptet, hat die Schuldenbremse in den vergangenen Jahren weder zu einem Kahlschlag bei den öffentlichen Ausgaben, noch zu einer Vernachlässigung der öffentlichen Investitionen geführt. Gleichzeitig haben die Vorgaben zu einer beachtlichen Konsolidierung des Landeshaushalts beigetragen. Erstmals seit nahezu einem halben Jahrhundert konnte Hessen im Jahr 2016 auf die Aufnahme neuer Schulden verzichten und alte Schulden zurückzahlen. Bis 2019 ist der Schuldenstand des Landes um insgesamt 800 Mio. Euro gesunken.

Zudem hat das Land die guten wirtschaftlichen Jahre dazu genutzt, durch den Aufbau einer speziellen Konjunkturrücklage Vorsorge für den wirtschaftlichen Abschwung zu treffen. Davon hat das Land im vergangen Jahr profitiert. Durch die vollständige Entnahme des Geldes konnte die Neuverschuldung des Landes um eine Milliarde Euro geringer ausfallen.

Die Schuldenbremse hat damit für die finanziellen Spielräume gesorgt, die Deutschland jetzt zur Bewältigung der Pandemie nutzen kann, ohne die finanzielle Tragfähigkeit der Staatsfinanzen aufs Spiel zu setzen. Die Schuldenbremse stärkt das Vertrauen in die Finanzpolitik und setzt die richtigen Anreize, um für künftige Krisen Vorsorge zu treffen. Wir sind daher klug beraten, nicht an der Schuldenbremse zu rütteln, sondern sollten das bestehende Regelwerk – nicht zuletzt mit Blick auf Europa – jetzt und in Zukunft konsequent anwenden.

Schlagworte zum Thema